Worum es geht:
Ein spannender historischer Roman mit zahlreichen Wendungen und Überraschungen – und der ersten großen Liebe: so wunderbar und doch so bitter …
Frankfurt, 1887: Die siebzehnjährige Unternehmertochter Marie hat ihren eigenen Kopf. Als sie von Missständen in der Fabrik ihres Vaters hört, landet ihre gehasste Handarbeit in der Ecke und sie macht sich heimlich auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei kommt sie einem Familiengeheimnis auf die Spur. Doch erst als sie den gutaussehenden Tänzer Max kennenlernt, gerät ihr Leben in Gefahr ...
Ein mitreißender historischer Roman mit spannenden Wendungen, einer ersten Liebe und feinem Humor. Für das Herzklopfen sorgt Max, für den Humor ist Opa Oskar zuständig - und Patrizia, die etwas verzogene Malteser-Hundedame, die schließlich jedoch zeigt, was in ihr steckt.
Leseprobe:
Kapitel 1
Es war das Jahr 1887. Der alte Kaiser
Wilhelm lebte immer noch. Der ebenfalls nicht mehr junge Kanzler Bismarck
fädelte die Geschäfte ein, das Wilhelminische Reich wuchs und gedieh und die
siebzehnjährige Marie triumphierte soeben über den Faden, der sich endlich
durch die Öse der Nadel hatte quetschen lassen.
Die Sonne strahlte vom
blauen Aprilhimmel und alles schien soweit in Ordnung zu sein, sowohl im
prosperierenden Kaiserreich als auch in Maries bürgerlichem Leben. Nur
unterschwellig war da so ein Gefühl, dass das Leben der jungen Frau sich ändern
würde, ändern musste, damit sie nicht zwischen gestickten Deckchen und sonstigen
Handarbeiten erstickte.
Die Schönheit des Tages
fand dann an der Kaffeetafel ihr jähes Ende. Robert war schuld. Maries
fünfzehnjähriger Bruder war eigentlich immer schuld und dann drehte er die
Dinge so, dass letztendlich Marie bestraft wurde.
Er liebte
Detektivromane. Einen besaß er, der handelte von einem Mann namens Sherlock
Holmes, und Robert bildete sich ein, nun selbst ein besonderer Detektiv zu sein.
Er verfüge über die Gabe der ›Deduktion‹, so behauptete er. Marie hatte keinen
blassen Schimmer, was ihr Bruder damit ausdrücken wollte – und sie vermutete,
dass er das selbst nicht wusste. Doch sie sah, dass neuerdings jeder Schuh, der
nicht korrekt geordnet in Maries Schuhschrank stand, genauestens untersucht
wurde. Die junge Frau empörten nicht nur Roberts Schlussfolgerungen bezüglich
der Schuhlinie, sondern vor allen Dingen, dass er es wagte, in ihren
Schuhschrank zu schauen. Doch auch bei Tisch stand sie ständig unter
Beobachtung. Jedes unterdrückte Gähnen wurde analytisch festgehalten und
untersucht. Meist mit dem Ergebnis, dass Marie beim Versuch, den Bruder in die
Schranken zu weisen, den Zorn ihrer Mutter auf sich zog. Ebenso verhielt es
sich an diesem Nachmittag.
Wie immer saß Robert vorgebeugt
auf seinem Stuhl und spielte mit der Kuchengabel herum. Mutter saß kerzengrade neben
Marie und zuckte nur leicht mit dem Mundwinkel, als das Dienstmädchen Frida
jetzt die gefüllte Kaffeetasse samt Untertasse neben Wilmas Teller platzierte
und dabei den Kaffee in leichte Schwingungen versetzte. Frida blieb einen
Moment mit angehaltenem Atem neben der Hausherrin stehen. Der Kaffee beruhigte
sich, Frida atmete aus und ging mit der Kaffeekanne zu Anton Fuchs hinüber. Maries
Vater, von seiner Tochter stets liebevoll ›Paps‹ genannt, griff bereits nach
dem ersten Stück vom ›Ribbelkuche‹. Die Kaffeetafel war eröffnet und die Hände
von Robert fuhren nach vorne und ergriffen ebenfalls eins der Streuselkuchenstücke.
Marie und Wilma warteten,
bis Frida ihnen das Gebäck auf den Teller reichte.
Opa Oskar, der an der
langen Seite neben Robert saß, schob bereits die letzten Krümel unter den Tisch,
wo Hündin Patrizia sie normalerweise fleißig aufsammelte. Nur war Mutters Schoßhündin
diesmal nicht zur Stelle. Sie lungerte aus irgendeinem Grund neben Maries Stuhl
herum.
Opa bekam das aber nicht
so genau mit. Denn Opa sah nicht mehr gut, war fast blind, wie er behauptete,
was ihn aber nicht davon abhielt, ihnen zu beinahe jeder Mahlzeit etwas aus der
Zeitung vorzulesen. Mit Lupe zwar und mit der Nase fast zwischen den Buchstaben
und manchmal verrutschte er in der Zeile, doch insbesondere die Überschriften brachte
er geordnet und wohlakzentuiert hervor.
So begann er jetzt,
ihnen von einem Einbruch in der Apotheke am Römerberg vorzulesen, bei dem neben
dem Griff in die Kasse auch noch Fässer mit Äther gestohlen worden seien.
»Fässer?« Paps runzelte
die Stirn und legte seine Pfeife auf den Tisch, die er gleich zu rauchen
gedachte.
»Diebstahl?«, freute
sich Robert, sprang vom Tisch auf und stieß gegen seine Tasse, die sich daraufhin
auf der Untertasse wälzte.
Gleichzeitig ließ das
Dienstmädchen die Tasse und Untertasse von Anton Fuchs fallen. »Verzeihung!«
Sie schlug die Hände entsetzt vor den Mund und bückte sich schnell.
»Robert!«, funkelte
Marie ihren Bruder an, der bereits neben Opa Oskar stand und die ›Fässer‹ in ›Fläschchen‹
korrigierte.
Marie beugte sich vor
und half Frida, die Scherben einzusammeln. Das Dienstmädchen war bleich
geworden. Mit zitternden Fingern hielt sie die Reste der Tasse in der Hand.
»Ist nicht deine Schuld«,
versuchte Marie sie zu beruhigen.
Frida nickte und Marie
wurde von Wilma Fuchs zurechtgewiesen, sich ordentlich an den Tisch zu setzen. Schnell
richtete Marie sich wieder auf, drückte ihren Rücken durch und legte die Hände
auf den Tisch. Auch Robert setzte sich wieder und Marie warf ihm einen ausdrucksvollen
Blick zu, den er von ihr aus ruhig detektivisch oder deduktiv oder wie auch
immer interpretieren durfte.
»Opa«, rief Robert
jetzt, denn um mit Opa zu sprechen, musste man seine Stimme schon ein wenig
erheben. »Da müssen wir nachher mal hin. Vielleicht finden wir noch ein paar
Spuren.«
Und während Frida abermals
ein paar Scherben zu Boden glitten und einen nicht wohlwollenden Blick der
Hausherrin erntete, grinste Opa und antwortete ebenso laut: »Jau, mein Junge,
das machen wir.«
Opa gab zwar nie zu,
dass er nicht mehr gut hörte, aber für alle anderen war das eine Tatsache. Wer
abgesehen von lauten Antworten, andauernd bei den Worten »Reichst du mir die
Butter« »Reife gut mit Luther« verstand, und auch ansonsten gerne mit einem »Hä?«
nach Wiederholung des Gesagten verlangte, mit dessen Ohren konnte etwas nicht
ganz stimmen.
Marie schüttelte unmerklich
den Kopf, ein leichtes Grinsen zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. Opa. Der mit
dem Unfug im Kopf, sagte Maries Freundin Sophie gerne. Mutter war stets empört,
doch bei Papa besaß Opa so etwas wie Narrenfreiheit. »Lass ihn mal«, pflegte er
zu sagen. Und: »Hauptsache, er hat noch Spaß und genießt seine letzten Jahre.«
Frida hatte soeben die
Kaffee- mit der Teekanne getauscht und stellte für den jungen Herrn die Teetasse
auf den Tisch. Robert ergriff das heiße Getränk und verschluckte sich daran.
Ruckartig beugte er sich vor und gab röchelnde Laute von sich. Zum Schutz von Teller
und Tischdecke hielt er die Hand vor den Mund. Der Tee fand dennoch seinen Weg auf
das Stickwerk, das Mutter erst diese Woche in unendlich lang andauernder
Handarbeit fertiggestellt hatte.
Wilma sprang auf.
Maries Rücken wurde noch gerader, Anton Fuchs zog die Augenbrauen hoch und Opa
griff nach einem weiteren ›Ribbelkuche‹.
»Robert!« Wilma wedelte
hektisch mit den Armen. »Frida, Tuch und Gallseife, aber schnell!«
Frida rannte los.
Doch was dann folgte,
war schlimmer und ließ die paar Tröpfchen, die die Tischdecke zierten,
vergessen. Marie, gerade damit beschäftigt, voller Schadenfreude ein angemessen
entsetztes Gesicht zu ziehen, stieß mit einer ruckartigen Bewegung gegen ihre
eigene, mit demselben heißen Zeug gefüllte Tasse. Die Tasse schleuderte
schwungvoll bis zum Tischrand, schoss über diesen hinaus und ergoss ihren
Inhalt Richtung Boden. Zwar fingen Maries flinke Finger die Tasse noch auf,
doch das neben ihrem Stuhl quietschende Bündel zeugte davon, dass dem Inhalt
der Tasse ein Volltreffer auf Mutters Malteser-Schoßhund gelungen war.
Patrizia raste quer
durch den Salon. Sie verlieh ihrem Schmerz eine klare, hohe Stimme. Mutter und
Frida, mit Lappen und Gallseife bewaffnet, folgten ihr. Marie war unfähig,
etwas zu tun. Wie versteinert starrte sie den rasenden Dreien hinterher. Auch
Robert saß auf seinem Stuhl und spendete einen staunenden Blick. Opa Oskar
hingegen runzelte die Stirn und sagte: »Da quietscht etwas.« Sein Blick
schweifte suchend umher. »Hört ihr das denn gar nicht?«
Und während Opa noch
fragte, ob nicht jemand mal das Quietschen abstellen könne, handelte Anton
Fuchs. Im passenden Moment schnellte seine Hand neben seinem Stuhl nach unten
und umfasste Patrizia mit festem Griff. Er übergab das jaulende Tier Frida mit
der Aufforderung, dem Hund ein kühlendes Bad zu verschaffen.
Frida nickte und eilte
davon. Wilma Fuchs folgte ihr.
Marie spürte nun den
Blick ihres Vaters auf sich ruhen.
Und Opa freute sich. »Jetzt
hat's aufgehört«, sagte er.
»In dein Zimmer.« Anton
Fuchs nickte kurz Richtung Treppenhaus. »Für den Rest des Tages.«
...
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