Der folgenschwere Bruch - Die Geschichte der Marie Fuchs (3)

Leseprobe: 

Kapitel 1

»Und? Hast du deine Ideen bereits umsetzen können?«
  »Noch nicht, aber die Pläne stehen.« Marie schmunzelte und beugte sich tiefer über die Sprechmuschel des Telefonapparates.
 Sie schaute zur Tür. »Ich habe mir ein Anwesen einer ehemaligen Lederwarenfabrik in der Nähe unserer Firma angeschaut. Es steht zum Verkauf und es ist recht günstig.«
  »Für Werkswohnungen?«
Marie nickte und blickte erneut zur Tür. Auf keinen Fall wollte sie, dass ihre Mutter etwas davon mitbekam. Die Herrin des Hauses hatte zwar in Paps Firma nichts zu melden, doch wollte Marie lieber keinen Konflikt heraufbeschwören, bevor nicht alles in trockenen Tüchern war.
  »Marie?«
  »Ja?«
  »Ich habe deine Antwort nicht verstanden.«
  »Ach«, lachte sie, »ich habe wohl wieder nur genickt.« Sie schüttelte den Kopf. Daran konnte sie sich einfach nicht gewöhnen, dass man ihre Mimik und Gestik durch einen Telefonapparat nicht sehen konnte.
  »Ja, das dachte ich mir schon.«
Sie konnte ihn förmlich durchs Telefon grinsen sehen.
  »Irgendwann wird irgendjemand speziell für dich einen Sprechapparat erfinden, der zusätzlich visuell deine Person einblendet.«
  »Haha«, lachte Marie, »das wäre famos. Dann könnte ich dir jetzt einen Kuss auf die Wange drücken.« Ihr Mund formte einen Kuss.
  »Danke«, sagte Jacob. »Ist auch so angekommen.«
Ihre Lippen stoben auseinander. Ihr Herz klopfte.
  »Aber das ist nicht genug.« Seine Stimme war gesenkt.
Ihr Herz klopfte lauter.
  »Ich möchte dich gern in meine Arme schließen.«
Ja, das wollte sie auch. Doch zwischen ihnen lagen fast dreihundert Kilometer und beide hatten sie ihre Verpflichtungen. Ihr Tagwerk nahm sie vollends ein. Seit dem Tod ihres Vaters leitete Marie die Fabrik in Offenbach, die sowohl für die Herstellung von Bohr- als auch Fräsmaschinen bekannt war. In den letzten Jahren taten sie sich zudem durch die Produktion von Werkzeugen hervor. Dieser Zweig nahm mittlerweile bereits die Hälfte der Kapazitäten ein und hatte sich zunächst eines kontinuierlich wachsenden Kundenstamms erfreut. Mittlerweile war die Nachfrage jedoch rückläufig. Man hoffte auf zukünftig wieder steigende Zahlen.
Jacob indessen tat sich in Genzel als Entwickler und Handlungsreisender bei der Firma seiner Tante hervor. Seine Tante war die erfolgreiche Stofftierproduzentin Barbara Kremer und ihr Neffe war stetig im Einsatz, um neue Modelle zu erfinden und neue Kunden zu gewinnen.
Sie waren beide fest in ihre Aufgaben eingebunden und versuchten, mit Fleiß und Herz ihren verantwortungsvollen Positionen gerecht zu werden. Wie sollten sie da jemals zusammenfinden?
  »Hallo, Marie? Hast du mich gehört?«
  »Ja, oh, verzeih. Ich war ein wenig in Gedanken. Was sagtest du?«
 »Ich erfragte, ob es in deinem Interesse wäre, wenn ich am kommenden Wochenende der Stadt Frankfurt einen Besuch abstatte.«
  »Frankfurt? Wie? Ja. Aber sicherlich.« Erneut fuhren Maries Lippen auseinander. »Ich kenne da eine Person, die sich sehr gerne als Reiseführer verdingen würde.«
 »Oh, ich kenne da auch eine junge, charmante Frau, die mir unbedingt die Sehenswürdigkeiten Frankfurts zeigen sollte.«
  »Ich hoffe, wir sprechen von derselben Person.«
  »Die, die ich meine, leitet eine zukunftsweisende Firma.«
  »Na, da bin ich aber froh«, lachte Marie. »Ich denke, die meine ich auch.«
  »Ähm, Marie?« Seine Stimme wurde ernster.
  »Ja?« Sie ahnte, in welche Richtung er das Gespräch nun lenken würde.
  »Ist denn alles geklärt?« Er ließ ihr eine kurze Pause. Sie reagierte nicht. »Zwischen dir und Herrn von Riemstein, meine ich.«
  »Aber sicher doch. Er weiß Bescheid. Ich habe ihm geschrieben.«
  »Und die Verlobung?«
  »Aufgelöst. Er hat den Ring zurückbekommen.« Sie lachte, doch es klang nicht so unbefangen wie vormals. »Kein Ring, keine Verlobung«, fügte sie hinzu.
  »Und was sagt er dazu?«
  »Bisher hat er sich nicht gemeldet.«
Es war nun über eine Woche her, dass sie ihm den Ring zurückgeschickt hatte. Die ersten Tage hatte sie in angespannter Haltung auf eine Reaktion gewartet, doch nun hatte sie beschlossen, das Thema als erledigt anzusehen. Denn das war es für sie. Niemals würde sie Eberhard von Riemstein heiraten.
  »Das Thema ist abgeschlossen, Jacob.« Sie flüsterte es fast, weil ihre Stimme mit einem Mal so rau war.
  »Gut.« Auch Jacobs Stimme klang leise, als glaubte er nicht recht daran. »Dann gehen wir da mal von aus.«
 »Ja«, sagte Marie, »und jetzt freue ich mich auf das Wochenende. Hast du denn bereits eine Unterkunft?«
  »Ich wollte im ›Hotel zum Schwan‹ übernachten.«
  »Das ist eine gute Adresse.« Marie grinste. Auch ihr Hotel, in dem sie, Robert und das Tantchen in Genzel genächtigt hatten, hatte fast genau diesen Namen getragen.
Als sie auflegte, war ihr bereits wieder nach Tanzen zumute. Sie wirbelte durch den Raum, nahm den kleinen Stoffhund von der Frisierkommode und drückte ihm einen Kuss ins Fell. Dieser Stoffhund war nicht nur ein hübsches Maskottchen. Er war mehr. Seine Ähnlichkeit mit ihrer früheren Malteserhündin war frappierend. Seine Rolle als Übermittler einer wichtigen Botschaft, als sie in Genzel in Gefahr geraten war, machte ihn besonders. Und dass Jacob ihn entworfen und ihr geschenkt hatte, machte ihn zu einem Band zwischen ihnen, das ihn trotz der vielen Kilometer, die sie trennten, miteinander verknüpfte. Der Stoffhund hieß Patty. Wie ihre Hündin damals.
Als sie ihn wieder an seinen Platz setzte, öffnete sich die Tür hinter ihr und Haushälterin Auguste Hahn überbrachte ihr die Nachricht, dass ihre Mutter sie zu sehen wünsche.
Maries Schwung verpuffte. Sie dankte der Haushälterin und atmete tief durch. Gespräche mit Mutter verliefen selten positiv. Und bei dem, was Marie ahnte, konnte es nur in einem Konflikt enden. Um ihre Mutter nicht zu verärgern, eilte Marie auf der Stelle in den Salon, denn die Herrin des Hauses hasste es, wenn von ihr erteilte Wünsche und Befehle nicht sofort ausgeführt wurden.
Wilma Fuchs saß auf ihrem Stuhl, auf dem Tisch vor ihr lag ihre Handarbeit, ein Stickwerk, das ein Blumenarrangement aus dem Botanischen Garten zeigte. Mit ihren Fingern klopfte sie auf diesem herum, als ihre Tochter eintrat.
  »Guten Tag, Mutter.« Marie erkannte sofort, dass ihre unbeschwerte, freundlichen Begrüßung die Stimmung nicht würde aufhellen können.
  »Mir ist da etwas zu Ohren gekommen.« Der Mund ihrer Mutter verschloss sich zu einem Strich.
  »Ja?«
  »Sag, dass das nicht wahr ist.«
Wieder blickte Marie auf einen dünnen Strich.
  »Was denn?« Es sollte unbedarft klingen, dabei wusste sie längst, worum es ging. Es konnte nur darum gehen.
  »Du hast die Verlobung mit Herrn von Riemstein aufgelöst?«
Marie nickte.
  »Das kommt gar nicht infrage. Das wirst du sofort wieder rückgängig machen.«
  »Mutter, ich liebe ihn nicht.«
  »Komm mir nicht mit so etwas.« Ihre Mutter stand auf und kam auf sie zu. »Er passt hervorragend zu uns. Er hat einen Titel. Er hat Geld. Er arbeitet in unserer Firma.«
  »In meiner F…«
  »Wage es nicht!« Wilma Fuchs stand bedrohlich nahe und auch, wenn Marie die schlanke Person um ein paar Zentimeter überragte, war es ihr so, als stünde ein großer kalter Berg vor ihr. »Wie stellst du dir das vor? Wie soll das gemeinsame Wirken in der Fabrik funktionieren, wenn ihr nicht auch als Eheleute zusammen auftretet?«
  »Ich …«
  »Sag nicht, dass du ihn auch noch der Firma zu entreißen gedenkst. Du glaubst doch wohl nicht, dass du auf Dauer in der Lage sein wirst, die Firma deines Vaters zu leiten.«
  »Warum nicht?«
  »Du bist eine Frau. Dein Platz ist woanders!« Ihre dunklen Augen trafen sie hart und bestimmt.   »Außerdem werden wir vielleicht bald auf seine finanzielle Unterstützung angewiesen sein.« Die letzten Worte hauchte sie ihr tonlos ins Gesicht.
Marie senkte den Kopf. Sie fürchtete, dass Wilma Fuchs damit recht haben könnte, denn die finanziellen Mittel gingen zuneige. Doch woher wusste Mutter das?

*
Als wäre der Streit mit ihrer Mutter nicht genug, entdeckte sie kurz darauf auf der Frisierkommode in ihrem Zimmer einen Briefumschlag. Sie sah das Siegel und ihr Herz setzte aus. Der Brief zeigte eine Wölbung, was sie zusätzlich nichts Gutes ahnen ließ. Mit zitternden Fingern brach sie das Siegel und öffnete den Brief.
Der Brief war von Eberhard.
Er akzeptierte ihre Auflösung der Verlobung nicht.
Den Ring hatte er beigefügt.
Wie betäubt stand Marie vor ihrem Spiegel. Was sollte sie nur machen? Ihr Herz gehörte Jacob. Doch ihre vergangene Entscheidung schien sie an Eberhard zu ketten. Hätte sie nur nie seinem Drängen zu einer Verlobung zugestimmt. Wäre sie doch einfach stark geblieben und das Risiko eingegangen, eventuell als alte Jungfer zu enden.
Wäre sie nur nie Jacob begegnet.
Nein! Das wollte sie nicht denken. Jacob war das Beste, das ihr seit langer Zeit passiert war. Nie hatten die Schmetterlinge mehr getanzt als kürzlich in Genzel, als sie Jacob kennengelernt hatte. Als er ihre Erinnerungen an Max geweckt hatte. Max, ihre erste große Liebe. Max, den sie verloren hatte. Max, nach dem sie gedacht hatte, dass die Liebe von nun an an ihr vorbeiziehen würde. Doch dann kam Jacob …
Und jetzt saß sie fest in diesem Schlamassel. Doch sie würde nicht kleinbeigeben. Sie würde um ihre Liebe kämpfen. Das schwor sie sich.
Den Brief zerriss sie und warf ihn in den kleinen geflochtenen Abfallkorb neben ihrer Kommode. Den Ring schleuderte sie gleich hinterher.
Einen Augenblick lang hielt sie inne.
Schließlich beugte sie sich über den mit Spitze umsäumten Korb und kramte den Ring wieder hervor. Es kam ihr unredlich vor, ein so wertvolles Stück einfach wegzuwerfen. Wie viel würde eine arme Frau davon kaufen können, um ihre Familie zu versorgen? Sie würde versuchen, ihn zurückzugeben. Oder ihn verkaufen und das Geld spenden.
Sie legte ihn hinter das Schmuckkästchen auf die rechte Seite ihrer Kommode ,,,

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